Nachdenken über Weblogs – oder: Nachwirkungen eines analogen Kaffeekränzchens


Kaffeekränzchen anno 1955

Nach einer Woche voller Termine (unter anderem einem Online-Gast-Vortrag in der Lehrveranstaltung „Digitale Arbeitsmethoden“ von Alexander König an der Uni Saarbrücken – schön zusammengefasst hier) hat das zurückliegende (kurze) Wochenende etwas Musse eröffnet, über den Workshop vom 12. November etwas intensiver nachzudenken. Mittlerweile sind ja freundlicherweise bereits einige bloggenden Kollegen in die Bresche gesprungen und haben Ihre Eindrücke bereits mitgeteilt (Dank an dieser Stelle an Kollega die Kolleg/innen Schneider, Sarti, Kelly, Schmalenstroer und Cornelissen).

Das Bild des „Kaffeekränzchens“, das Kollega Schneider – leicht enttäuscht, wie ich unterstelle – in seiner Reaktion auf den Workshop verwandte, hat mich ins (durchaus positive und anregende) Grübeln gebracht. In dieser Formulierung verbergen sich ja Erwartungen und Ansprüche an den Inhalt und die Form eines Diskurses, die offenbar nicht erfüllt worden sind.

Die Frage, wieso Weblogs in den Geschichtswissenschaften nicht viel selbstverständlicher genutzt werden, war für uns – neben Erwägungen zu den konkreten Problemen und Herausforderungen – von zentraler Bedeutung. Wir haben und entschieden, den Praktiker/innen das Wort zu geben, um aufgrund von konkreten Erfahrungen eine entsprechende Diskussion zu führen. Die Frage nach der Rolle von Weblogs zwischen Selbstreflexion, Selbstvermarktung und Vernetzung als Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs haben wir im Verlaufe des Nachmittags durchaus benannt und diskutiert.

Die Grundhaltung der Diskussion wurde von Schneider als zu defensiv bezeichnet. Doch wird hier nicht das Problem an sich offenbar – dass die Wissenschaft nicht weiss, was sie mit Weblogs anfangen soll – und dass die bloggenden Wissenschafter/innen nicht so recht wissen, wie sie daran etwas ändern können, ja, ob sie daran überhaupt etwas ändern wollen? Das ist im Gespräch als ein zentrales Problem möglicherweise zu wenig deutlich herausgearbeitet worden. Dieses manifestiert sich ja nicht so sehr in der Frage, ob die Boggenden mit ihren schriftlichen Stücken den Anspruch verfolgen, wissenschaftliche Beiträge zu verfassen (was nicht immer der Fall ist) oder welche Kriterien ein Blog-Post erfüllen muss, um wissenschaftliche Geltung in Anspruch nehmen zu dürfen (was Mills Kelly ja definiert hat). Das Problem liegt in der Frage, warum die wissenschaftliche Gemeinschaft Weblogs nicht als Teil wissenschaftlicher Auseinandersetzung akzeptiert und auch prämiert. Daraus folgte dann die Anschlussfrage, was zu tun wäre, um eine solche Akzeptanz zu erreichen, oder, als Gegenfrage, ob das überhaupt nötig und sinnvoll ist, mit anderen Worten, warum der wissenschaftliche Diskurs wirklich mit dieser Publikationsform erweitert werden soll.

Um es etwas konkreter zu formulieren: Solange Lehrstuhlinhaber/innen (oder zumindest eine grosse Minderheit) selber keine ((„keine“ ergänzt nach Hinweis von Klaus Graf, 22.11.2010, 12.08h)) Weblogs betreiben, und damit signalisieren, dass diese Publikation zum wissenschaftlichen Selbstverständnis gehört und als solche auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt wird, solange werden auch Studierende und Doktorand/innen sich nur in Ausnahmefällen und im Sinne eines jederzeit verzichtbaren Hobbys mit der zeitraubenden Aufgabe belasten, ein Weblog zu führen. Das Weblog bleibt dann ein nettes, fakultatives Add-On zur individuellen Entwicklung der eigenen (wissenschaftlichen und privaten) Persönlichkeit. Und die Möglichkeiten, die diese spezifische Publikationsform gegenüber anderen, etablierten Formen wissenschaftlichen Publizierens zu eröffnen vermag, werden nicht ausgelotet.

Das wird sich wohl erst ändern, wenn durch das Schreiben von anspruchsvollen Weblog-Beiträgen wissenschaftliche Meriten erworben werden können und wenn Weblogs als Form wissenschaftlicher Publikation und das Führen eines Weblogs als Tätigkeit in den Pflichtenheften von Lehrstühlen etabliert ist.

Solche Überlegungen, geeignete „Passagen“ für Weblog-Beiträge durch Formen der redaktionellen Auswahl und des Peer Reviews in wissenschaftliche Publikationen anzustellen, werden offenbar, wie ich im Nachgang zum Workshop erfahren habe, in den USA momentan angestellt. Das gibt einerseits Hoffnung, an konkreten Ideen weiterdenken zu können. Andererseits stellt sich auch die (ebenfalls im Rahmen des Workshops noch nicht abschliessend diskutierte) allgemeine Frage nach den Merkmalen und Kriterien von Weblogs. Gibt es „wissenschaftliche Weblogs“, in welchen dann persönlich-private Anmerkungen oder skizzierte, unfertige Überlegungen keinen Platz mehr haben, weil diese dann in „privaten Weblogs“ zu platzieren sind? Teilt sich folglich die Blogosphäre? Oder gibt es Weblogs von Wissenschafter/innen, die sowohl aus ihrem wissenschaftlichen Alltag allerlei vermischtes berichten, und darunter auch ambitionierte Beiträge, die den Anspruch auf wissenschaftliche Geltung vertreten?

Hier wäre im Anschluss an den Workshop und gerade auch im Hinblick auf die Irritationen rund um die Rezensions-Übung beim Weblog Zeittaucher weiter zu denken. Und die eingangs zitierten und verlinkten Kolleg/innen haben hier anknüpfend an die Workshop-Diskussion ja bereits damit begonnen. Ich bin gespannt auf das nächste (analoge oder digitale) Kaffeekränzchen.

8 Gedanken zu „Nachdenken über Weblogs – oder: Nachwirkungen eines analogen Kaffeekränzchens“

  1. 1. Siehe auch
    http://agfnz.historikerverband.de/?p=454

    2.“Solange Lehrstuhlinhaber/innen (oder zumindest eine grosse Minderheit) selber Weblogs betreiben“ Da fehlt ein nicht.

    3. Archivalia ist ein Weblog, das ausdrücklich „original research“ betreibt, natürlich nur gelegentlich und bislang auf mich beschränkt.

    Archivalia publiziert zudem gelegentlich Rezensionen wissenschaftlicher Fachliteratur:

    http://archiv.twoday.net/stories/4941756/

  2. @ Klaus Graf: Dank für die Anmerkungen; konkret zu „2. (…) Da fehlt ein nicht“ – ein klassischer freudscher Verschreiber, vielen Dank für den Hinweis. Wurde mit entsprechendem Hinweis korrigiert.

  3. Also ich möchte betonen, ich war höchstens „leicht“ enttäuscht; es war insgesamt ein anregender Tag und bin allerdings sehr ins Nachdenken gekommen. Allerdings: Wo sind die Lehrstuhlinhaber, das ist auch eine Frage, die ich mir gestellt habe.

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