Das Internet als Raum Historischen Lernens V

Der Abschluss-Vormittag der Tagung (siehe frühere Einträge) befasst sich mehr mit theoretischen Aspekten.

Andreas Körber stellt das aktuelle Kompetenz-Modell historischen Denkens vor, das er (mit anderen Autor/innen) im Rahmen des Projekts FUER Geschichtsbewusstsein erarbeitet hat. Daraus leitet er Folgerungen für das historische Lernen ab, das kompetenzorientiert und nicht mehr primär wissensorientiert erfolgen soll. Seine daraus folgende These: Das Klassenzimmer ist der eigentlich „virtuelle Raum“ des historischen Lernens, weil nicht nur die Vergangenheit da nicht „wirklich“ vorhanden ist, sondern weil die Narrative zur Geschichte, die in der Gesellschaft vorhanden sind, nur durch die Lehrperson gefiltert einfliessen. Die Beschäftigung mit Informationen zu Geschichte im Internet ist so gesehen viel „realer“, weil dort die Schüler/innen direkt mit den verschiedenen Darstellungen in Kontakt kommen. Er betont vor allem die Bedeutung der eigenen Aktivität der Schüler/innen, die selber Narrationen erstellen und sich reflektiert damit auseinander setzen sollen.

Jakob Krameritsch (unter anderem beteiligt am Projekt „past.perfect„) schildert die Möglichkeiten des Hypertexts für die Vernetzung von Menschen (nicht nur von Inhalten). Er stellt pastperfect als Grundlage vor, sich anhand verschiedener, individueller Perspektiven mit „der Geschichte“, bzw. den vorhandenen Darstellungen der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sich über diese verschiedenen Perspektiven (bzw. dem Ergebnis der perspektivischen Auseinandersetzung) auszutauschen. Allerdings eignet sich für diesen Austausch die face-to-face-Situation besser. Krameritsch schildert als wichtige Voraussetzung für diesen Prozess die „Kohärenz“-Bildung von modularen, vereinzelten Text-Elementen. Unterstützt wird die Kohärenz-Bildung durch eine spezielle Art der Verlinkung, die bereits nach einer inhaltlichen Gewichtung angelegt wird. Dies setzt eine stärkere Durchdringung des Textkörpers voraus, ist eigentlich eine Strukturierung eines Themas, die durchaus die Qualität einer Narration hat, auch wenn sie nicht linear angelegt ist. Diese Form des Schreibens von Hypertext ist stark kollaborativ und setzt intensive Kommunikation voraus. Insofern fördert Hypertext (bei Schreibprozessen) die Vernetzung von Menschen. In dieser Hinsicht ist pastperfect ein Beispiel für e-Learning, das nicht die effiziente und kostengünstige Organisation von Massenveranstaltungen meint, sondern die Auseinandersetzung mit Diskursen. Allerdings ist in diesem Fall die Texterstellung nicht eine community-basierte kollaborative Tätigkeit, sondern eine Angelegenheit einer kleiner, intensiv zusammen arbeitender Gruppe.

Es folgt der Beitrag von Peter Haber und Jan Hodel zu Narrationen im digitalen Zeitalter. Diese (bzw. Auszüge daraus) werden in gesonderten Einträgen behandelt.

Werner Schweibenz von der Universität des Saarlandes (Saarbrücken) spricht (als letzter Referent) über das „Virtuelle Museum im Internet als Lernort“. Er stellt das Flow-Konzept des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi vor, das eine entspannte, aber intensive und hoch motivierte geistige Tätigkeit umschreibt, die sich zwischen Unter- und Überforderung bewegt und daher hohe Lernerfolge erzielt. Diesen Zustand des „Flow“ bei den Besucher/innen zu erreichen, setzt sich die moderne Museumspädagogik (auch bei virtuellen Museen) zum Ziel.
Doch entsteht beim Anspruch der Interaktion im virtuellen Museum ein Konflikt: Eine Anleitung für die Besucher/innen, eine „Guided Tour“, ist – so scheint es – notwendig. Laut der Studie aus dem Jahr 2001 „Less clicking more Watching„, die das Nutzungsverhalten von Website-Nutzer/innen untersuchte, bevorzugen die Besucher/innen geführte Touren statt selbständiger Exploration, die als „Arbeit“ empfunden wird. Auch hier scheint ein wiederkehrender Topos auf, der öfters an dieser Tagung zum Thema wurde: eine Erwartung der Nutzer/innen, dass die Anbieter geschlossene, vorbereitete Erzählungen anbieten, führt zur Ansicht der Anbieter (seien es Lehrpersonen oder Museen), dass ihre didaktischen Szenarien klar strukturiert die Nutzer/innen an die Hand nehmen müssen. Wohltuend (m.E.) der Einwand von Jakob Krameritsch, dass den Nutzer/innen auch mal etwas zugemutet werden darf, und das im Print-Bereich auch nicht alle Zeitschriften wie die „Bunte“ oder die „Glückspost“ daherkommen, um die Leser/innen nicht zu überfordern (obwohl die Entwicklung bei den elektronischen Massenmedien wohl eher schon in diese Richtung verlaufen ist).
Es gibt ein interessantes Konzept, dass auf die spannende Form der Erzählung setzt, die den meisten Menschen aus Film und Romanen bekannt ist. Das Konzept nennt sich Storytelling, und kann auch auf ein virtuelles Museum (oder andere Internet-Angebote) angewendet werden.

Ein Vorteil des Story-Tellings kann sein, dass Geschichten als „subjektive Sicht“ auf Geschichte präsentiert werden kann. Schweibenz bezeichnet diese Möglichkeiten der Multiperspektivität als „Rashomon„-Effekt, angelehnt an den Klassiker des japanischen Regisseur Akira Kurosawa. Als Beispiel einer entsprechenden Website, die verschiedene Sichten auf eine historisches Ereignis darstellt, ist „Raid on Deerfield„. Dort wird der überfall auf ein Dorf während des
Schweibenz nennt noch zwei Beispiele für Virtuelle Museen: das Virtual Museum of Canada, gleichsam die Referenz) mit der Möglichkeit eine eigenes Museum zusammenzustellen und das Virtuelle Transfer Musée Suisse, das eine eingeschränkte Auswahl an Objekten und eine stark subjektiv-personalisierte Form der Ansprache aufweist.

Peter Lautzas vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands fasst die Tagung aus einer persönlichen Perspektive zusammen. Er erkennt vier Bereiche, die angesprochen wurden:

  1. Auswirkungen der Neuen Medien/Internet auf die Didaktik, durch die Logik der Sprache und der Struktur in den Neuen Medien. Es fehlen Untersuchungen darüber, wie Medien genutzt werden und wie sich Rezeptionsgewohnheiten verändern.
  2. Auswirkungen auf die Fachwissenschaft: zentrale Frage nach der Deutungsmacht, dem Objektivitäts-Anspruch, aber auch dem Quellenbegriff, die alle von der Entwicklung der Neuen Medien massgeblich berührt werden.
  3. Auswirkungen auf die Gesellschaft: Demokratisierungsanspruch, der mit gemeinschaftlichen Anwendungen des Internets einhergeht, stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen, wie gesellschaftliche Prozesse organisiert und legitimiert werden.
  4. Forderungen an die Geschichtsdidaktik, die den Grossteil der Auseinandersetzung bildeten und im weiteren dargestellt werden.

Deutlich geäussert wurde das Postulat an die Geschichtsdidaktik, sich aktiv in die Gestaltungsprozesse einzuschalten; sie soll die Veränderungen nicht nur beklagen, sondern selber einwirken und mitwirken. Zugleich sind erste Erfahrungen mit geschichtsdidaktischen Anwendungen der Neuen Medien zu reflektieren, ebenso wie die Veränderung der Lehrerrolle oder die Rolle der Methodik. Die Methodik steht in einem neuen Verhältnis gegenüber den Inhalten: Erschliessung von Inhalten bekommt im Vergleich zur Vermittlung von Inhalten neue Bedeutung. Durch Neue Medien induzierte Veränderung im Unterrichtsgeschehen wird bedeutsam sein. Wie ist der Oberflächlichkeit der Nutzung zu begegnen? Vielleicht wäre ein normativer Anspruch der Didaktik auch bei Neuen Medien zu pflegen, die durch eine Vorstrukturierung durch die Lehrpersonen zustanden kommen. Kritisch zu bedenken ist auch die Wirkungsmacht der multimedialen Darstellungen, die sehr überzeugend, aber nicht unbedingt „wahrer“ sein müssen.

Die Tagung endet pünktlich, und einige Tagungsteilnehmer/innen nutzen die „Rest-Zeit“ bis zur Heimfahrt mit einem kurzen Abstecher in das bemerkenswerte, durchaus reale Wikinger-Museum am Ort der Wikinger-Siedlung Haithabu.

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